Rena Tangens: "Bundesregierung muss Grundrechte in die Tat umsetzen"

Rena Tangens, Sie sind seit langer Zeit gegen Überwachung und für Datenschutz aktiv. Ist der PRISM-Überwachungsskandal die größte politische Herausforderung in ihrer aktivistischen Laufbahn?

Nein. Die größte Herausforderung war, der kollektiven Hysterie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entgegenzuwirken und weiter entschieden für Bürgerrechte und Datenschutz einzutreten. Der damalige Innenminister Schily hat die günstige Gelegenheit genutzt und einen ganzen Strauß an Überwachungsgesetzen im Bundestag durchgedrückt - den sogenannten "Otto-Katalog". Damals wurde von der Regierung diese "der Zweck heiligt die Mittel"-Haltung salonfähig gemacht. Die Ausläufer davon bekommen wir heute mit, wenn unser derzeitiger Innenminister von dem "Supergrundrecht Sicherheit" schwadroniert.

Jetzt, wo PRISM bekannt geworden ist, können wir darauf verweisen, dass wir bei den BigBrotherAwards schon vielfach auf die Überwachungsgefahr durch amerikanische Geheimdienste hingewiesen haben, wenn Menschen gedankenlos Angebote amerikanischer Konzerne nutzen, die ihre Daten zentral speichern. Auch aus diesem Grund haben wir an Facebook, Google und die Cloud BigBrotherAwards verliehen. Und wir sind auch ein bisschen stolz darauf, dass wir schon 1993 (damals hieß digitalcourage noch FoeBuD e.V.) das erste deutsche Handbuch zu PGP - Pretty Good Privacy - herausgebracht und damit für den "Briefumschlag für die persönliche elektronische Post" sensibilisiert haben.

Welche konkreten Maßnahmen sollte die Bundesregierung ihrer Meinung nach angehen?

Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, endlich in die Tat umsetzen. In Deutschland deutsches Recht durchsetzen, das heißt, Firmen und anderen Staaten, die die Privatsphäre unserer Bürger verletzen, zu sanktionieren. In Europa muss Deutschland endlich der Macht der Wirtschaftslobby entgegentreten, die die Europäische Datenschutzgrundverordnung bis zur völligen Untauglichkeit verwässern wollen. Und den digitalen Selbstschutz stärken, zum Beispiel indem die Programmierung von einfach zu nutzenden, ergonomisch durchdachter freier Verschlüsselungssoftware gefördert wird.

Wie bewerten Sie die Aussage von Innenminister Friedrich, die Menschen müssten sich selbst um Datenschutz und Verschlüsselung kümmern, um sich vor Überwachung zu schützen?

Die Aussage von Innenminister Friedrich ist eine Bankrotterklärung der Politik. Er behauptet damit, dass die Politik nichts tun könne und schiebt alle Verantwortung auf die Bürgerinnen und Bürger ab. Gleichzeitig tut sein Ministerium nichts, aber auch gar nichts, um die Möglichkeiten des digitalen Selbstschutzes für die Bürger zu erleichtern. Das erinnert fatal daran, wie Herr Friedrich nach einem netten Gespräch mit dem Facebook-Lobbyisten Richard Allen kundtut, man brauche rechtlich nichts zu unternehmen, Facebook würde vielleicht irgendwann eine Selbstverpflichtungserklärung machen, also brauche man rechtlich nichts unternehmen, um deutsches Datenschutzrecht durchzusetzen. Damit ist er dem Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert in den Rücken gefallen ist, der den Mut hat, deutsches Recht auch gegenüber amerikanischen Konzernen durchzusetzen.

Und wo hapert es bei der Opposition in der momentanen Debatte?

Ich habe das Gefühl, dass die Opposition mit sehr gebremstem Schaum agiert. Da wird ein bisschen Wahlkampf mit Angriffen auf Personen gemacht, aber die Opposition legt kein eigenes Konzept vor, um grundlegende Änderungen herbeizuführen. Ich vermute, dass auch die SPD aus der Zeit der großen Koalition ebenso wie einige Protagonisten der Grünen aus der Zeit von Rot-Grün Kenntnis davon hatten, was die amerikanischen Geheimdienste in Deutschland treiben - und es gebilligt haben. Ich würde mir wünschen, dass solche Sachverhalte jetzt auf den Tisch kommen, dass Politiker, die damals in Regierungsverantwortung standen, Fehler zugeben und den Mut haben, auch öffentlich zu sagen, dass es ein Fehler war, unsere Bürgerrechte einer zweifelhaften Sicherheit zu opfern.

Obwohl das Thema Überwachung seit Wochen die Schlagzeilen beherrscht, sind die Proteste im Netz und auf der Straße noch recht verhalten. Woran liegt das?

Ich denke, das ist im Moment ein großes Luftholen. Viele Menschen sind so erschüttert, dass sie gar nicht wissen, wo sie anfangen sollen, ihren Protest zu äußern. Viele denken jetzt erst einmal darüber nach, wie sie sich selbst schützen können. Wir bei Digitalcourage bekommen massenhaft Anfragen dazu. Deshalb haben wir ein Faltblatt zur "digitalen Selbstverteidigung" herausgebracht und haben eine neue Auflage unseres "PrivacyDongles" - ein USB-Stick zum unbeobachten Surfen - erstellt.

Wie können sich Menschen jetzt gegen die Überwachung engagieren?

Am Samstag, 7. September wird es eine Großdemonstration in Berlin geben unter dem Motto "Freiheit statt Angst". Da mobilisert ein sehr breites gesellschaftliches Bündnis - nicht nur Bürgerrechtler und Hacker, sondern auch Berufsverbände von Journalisten, Rechtsanwälten und Ärzten, Beratungsstellen, Gewerkschaftler wie auch der Verbraucherzentrale Bundesverband. Kommt zu dieser Demo am 7. September! Infos gibt es unter http://blog.freiheitstattangst.de und Mobilisierungsmaterial gibt es bei Digitalcourage. Last not least: Wenn Sie unser Anliegen wichtig finden, dann unterstützen Sie Organisationen, die sich für Bürgerrechte und Datenschutz einsetzen. Wir bleiben nämlich dran, auch wenn die große Aufmerksamkeit der Medien verflogen ist.
 


Rena Tangens ist Mitglied bei Digitalcourage. Der Verein setzt sich seit 1987 - bis Ende 2012 unter dem Namen FoeBud - für Bürgerrechte und Datenschutz ein.